Die neue Rolle des Lehrers

Prozessbegleiter statt Paragraphenreiter

Ein Thema, das mich schon in meiner eigenen Schulzeit umtrieb, beschäftigt mich heute noch immer: Wieso richten manche Lehrer ihren Unterricht einzig und allein auf zu benotende Klassenarbeiten aus? Bevor der falsche Eindruck entsteht: Ich kenne die Anforderungen an und Belastungen von Lehrern recht gut (zwei Lehrer in der engeren Familie, viele im Freundeskreis und eigene Lehrerfahrungen) und ich bin mir auch durchaus bewusst, welchen Druck die Lehrpläne und Ministerien ausüben. Und ja, die Ausbildung von Gymnasiallehrern ist mittlerweile eine ganz anders als früher. Auch in Bereichen der methodischen und didaktischen Ausbildung hat sich viel getan. Aber aus Gesprächen mit Pädagogen und Wissenschaftlern weiß ich, dass sich die Rolle des Lehrers noch nicht gänzlich und flächendeckend in die Richtung des Lehrenden als Lernprozessbegleiter entwickelt hat.

Die neue Rolle des Lehrers

Die Loslösung des Lehrers von den Zwängen des Klausuren- und Arbeitenfokus sorgt dafür, ein vollkommen anderes Schulumfeld zu erschaffen, in denen den Schülern Wissen vermittelt wird und sie sich Kompetenzen aneignen können, für die sonst kein Raum wäre. Auch die Lehrer profitieren von ihrer neuen Rolle, da sie eine größere pädagogische Freiheit erhalten und gegebenenfalls die (verlorene) Lust am Unterricht zurück erhalten.

Die Reflexion der eigenen Rolle ist die hierfür maßgebliche Voraussetzung . Nach dem eigenen professionellen Handeln gilt es dieses retroperspektiv zu betrachten, die wesentlichen Aspekte, die diese Handlung definieren, zu erkennen, Alternativen dazu zu finden und diese anschließend auszuprobieren. Es muss sich eine Reflexionsroutine einstellen, damit man sich des eigenen Parts in der Schulsinfonie gewahr wird. Erst dann kann man die neue Rolle des Lernprozessbegleiters als Option wahrnehmen und sich dieser öffnen.

Schule neu denken

Doch wie lässt sich diese Rolle ausfüllen? Ich sage nur: Methodenvielfalt, Schülerorientierung, Kompetenzvermittlung . Zäumen wir das Pferd von hinten auf:

Erstens

Die Umstellung von Lehrplänen auf Kompetenzraster sollte zwar einen Ausbruch aus den verkrusteten Strukturen ermöglichen, allerdings wurde der Kompetenzbegriff als solcher dermaßen verzerrt und auf das Lehrplanmodell gestülpt, dass weder junge Kollegen noch die der alten Schulen damit zurechtkommen, geschweige denn zufrieden sind. Kompetenzentwicklung sollte im Schulumfeld begleitend und selbstverständlich ablaufen, lediglich durch die Institution Schule gefördert und angeregt werden. Die entsprechende didaktische Gestaltung des Schulalltages macht dies möglich und lässt den Schülern Freiräume zur Entwicklung und Anwendung.

Zweitens

Bei manchen ist es zwar noch nicht im Denken verankert, aber die Schule ist für die Schüler da und nicht umgekehrt. In den heutigen Wissensvermittlungsfabriken wirkt Schule und Unterricht als Selbstzweck – eine Wassermühle, die sich durch den Verschleiß von Kindern und Jugendlichen selbst antreibt. Öffnet den Unterricht für Themen, die die Schüler interessieren und ihnen weiterhelfen! Natürlich schadet es niemanden einmal Faust gelesen zu haben und selbstredend sollen arithmetische Grundlagen vermittelt werden, aber insbesondere in höheren Klassenstufen oder in offeneren Fächern wie dem Sachkundeunterricht oder Politik kann und soll auf die Bedürfnisse und Interessen der Lerner eingegangen werden.

Drittens

Wenn man schon bei dem alten Prinzip des 45 bis 90-minütigen Unterricht in Klassenräumen bleibt, so sollte man dennoch, wenn es didaktisch sinnvoll ist, Abstand vom Frontalunterricht nehmen und auf die Vielfalt der zur Verfügung stehenden Methoden zurückgreifen. Man darf auch mal Fehler machen und eine Unterrichtsstunde "versemmeln", man sollte sich Feedback der Schüler zur Unterrichtsgestaltung einholen und auf jeden Fall soll man Neues ausprobieren. Die Grundvoraussetzung dafür ist, dass man begeistert ist für die Methodik und Didaktik, dass man über den Tellerrand hinausschaut, sich mit Kollegen unterhält und ständig weiterbildet. Es ist nicht einfach diese Bedingungen vorzufinden und die Kraft und Energie dafür zu haben, aber wie sonst soll sich das System Schule sonst je ändern ?

von Hannu Sparwald

Veröffentlicht am 17.08.2015

Bei dem hier veröffentlichen Blogeintrag handelt es sich lediglich um die persönliche Meinung des Autors und nicht um die offizielle Meinung der HDK Heidelberg Kolleg UG (haftungsbeschränkt)

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